Europa League

Denkwürdige Duelle zwischen Bayer Leverkusen und der AS Rom

Legendäre Spiele zwischen Leverkusen und AS Rom

Als Ramelow zum Trampolin wurde, ein "Spiel wie ein Oktoberfest" und die "Schande"

Unvergessene internationale Abende: Francesco Totti springt 2004 auf Carsten Ramelow, die Leverkusener Mannschaft 2015 auf Admir Mehmedi.

Unvergessene internationale Abende: Francesco Totti springt 2004 auf Carsten Ramelow, die Leverkusener Mannschaft 2015 auf Admir Mehmedi. AFP via Getty Images

Ein wenig sieht es so aus, als hätte man Carsten Ramelow Gewürzketchup auf den Rücken geschmiert. Öffentlichkeitswirksam ließ sich der damalige Kapitän von Bayer 04 Leverkusen am 4. November 2004 gemeinsam mit dem für seine unkonventionellen Behandlungsmethoden bekannten Physiotherapeuten Dieter Trzolek ablichten - mit dem Rücken voller Jod.

Rot-bräunlich glänzt Ramelows Oberkörper, grün-blau hätte er wohl sonst geglänzt - malträtiert von den Stollen Francesco Tottis.

"So etwas habe ich im Fußball noch nicht erlebt"

Am Tag zuvor war Bayer 04 in der Champions-League-Gruppenphase im Stadio Olimpico auf die AS Rom getroffen. Das Spiel sollte im Gedächtnis bleiben, obwohl es sich laut damaligem kicker-Bericht um einen "Gruselkick" gehandelt hatte. Wobei der wiederum in die Atmosphäre passte: Die Partie war vor leeren Rängen ausgetragen worden, weil ein Roma-Anhänger im vorangegangenen Heimspiel gegen Dynamo Kiew Referee Anders Frisk mit einem Gegenstand beworfen hatte und dieser daraufhin eine blutende Wunde davontrug.

Champions League 2004/05

"So etwas habe ich im Fußball noch nicht erlebt", beklagte Coach Rudi Völler damals. Ja, der Rudi Völler. "Tante Käthe" war Trainer der Giallorossi. Als es gegen Leverkusen ging, aber schon nicht mehr.

Kaum vorzustellen, was an diesem Novemberabend passiert wäre, wenn auch noch ein Völler voller Temperament und ein Stadion voller Romanisti zu den Darstellern gezählt hätten. Schließlich hatte es schon beim ersten Aufeinandertreffen zwei Wochen zuvor gekracht, beim 3:1-Sieg der Werkself in der BayArena flogen gleich zwei Römer mit glatt Rot vom Platz.

Das war Judo, das war vorsätzliche Körperverletzung.

Leverkusens Trainer Klaus Augenthaler

Auch das Rückspiel hatten Nickligkeiten geprägt, wie sich Ramelow Jahre später im kicker-Interview erinnerte. "Ich wusste, dass Totti es nicht mag, wenn man ihn bearbeitet und ihm ein bisschen wehtut", so der damalige Kapitän. "Ich war nicht zimperlich - und bei ihm baute sich die Wut regelrecht auf. Ich merkte, dass er sich nicht mehr lange würde halten können." Er hielt sich bis zur 72. Minute. "Als ich grätschte", berichtete Ramelow rückblickend, "nutzte er die Situation, sprang hoch, und obwohl er neben mich hätte springen können, nutzte er mich als Trampolin und haute mir beide Füße ins Kreuz."

Carsten Ramelow und Dieter Trzolek

Ein Rücken voller Jod: Dieter Trzolek (re.) behandelt die blauen Flecken von Carsten Ramelow. imago images

Der portugiesische Referee beließ es bei Gelb für beide Spieler, Leverkusens Coach Klaus Augenthaler tobte: "Das war eine klare Rote Karte, das war Judo, das war vorsätzliche Körperverletzung." Sein Gegenüber, Völler-Nachfolger Luigi Delneri, reagierte mit Spott: "Er sollte nicht auf der Bank, sondern auf der Tribüne sitzen. Fußball ist eben ein Männersport."

Vielleicht musste sich Delneri das an diesem Tag aber auch selbst unbedingt einreden, schließlich hatte sein für Ausschreiten und Verfehlungen berühmt-berüchtigter Stürmer Antonio Cassano ihm noch drei Tage zuvor die Geschlechtszugehörigkeit abgesprochen: "Ich rede nur mit Männern. Und du bist keiner!"

Cassanos anschließende Suspendierung erwies sich für die Roma zumindest in der Partie gegen Leverkusen als Glücksfall. Das Traumtor von Dimitar Berbatov in der 82. Minute glich Cassano-Ersatz Vincenzo Montella in der Nachspielzeit zum 1:1-Endstand aus - auf geniale Vorarbeit von Totti. Dessen ereignisreicher Arbeitstag war damit aber noch nicht vorbei: Auf dem Weg in die Katakomben begann er noch eine Rangelei.

Das Wiedersehen

Als es für die Roma elf Jahre später wieder gegen Leverkusen ging, fehlte zwar der inzwischen 39-jährige Totti - aber nicht das Spektakel. 13 Tore fielen in zwei Spielen der Champions-League-Gruppenphase - auch weil das vom angriffslustigen Roger Schmidt (inzwischen seit 2022 Coach von Benfica Lissabon) trainierte Leverkusen damals für brachialen Offensivpowerfußball stand.

Champions League 2015/16

Im spektakulären Hinspiel legte sein Team mit einem frühen Doppelpack von Javier "Chicharito" Hernandez los wie die Feuerwehr, ehe sich die von Rudi Garcia betreuten Giallorossi auf den Weg zum 4:2 bis zur 73. Minute machten. "Die Roma hat sich längst in Sicherheit gewogen und offenbar zu locker agiert, da schlägt auf einmal Leverkusen mit einem Doppelschlag wieder zu", heißt es im kicker-Ticker zum damaligen Spiel. Denn: Kevin Kampl und Admir Mehmedi sicherten ihren Farben tatsächlich noch ein 4:4.

Völler, der elf Jahre vorher "so etwas im Fußball noch nicht erlebt hatte", griff nun wieder zum Superlativ, wenn auch abgeschwächt: "So ein Spiel hat es zumindest in Leverkusen wohl noch nicht gegeben. Ich habe mit den Kollegen aus Rom gesprochen, die standen ähnlich wie ich auch kurz vor dem Kollaps." Und Coach Schmidt fügte an: "Das war alles andere als ein normales Fußballspiel. Auch ich bin geflasht."

"Ein Spiel wie ein Oktoberfest"

Italiens Gazetten ließ dieses Acht-Tore-Spektakel naturgemäß auch nicht kalt. So textete die Gazzetta dello Sport: "Ein Spiel wie ein Oktoberfest, auch wenn wir nicht in Bayern sind. Das Spiel hinterlässt bei den Römern starke Kopfschmerzen wie nach einem kolossalen Saufgelage." La Stampa griff zu einem anderen Vergleich: "Ein verrücktes Spiel in Leverkusen. Wenn die Abwehrreihen Sandburgen sind, fehlt jeder Mannschaft das Gleichgewicht. Jede Aktion wird so zu einer goldenen Chance."

Jubeltraube bei Bayer Leverkusen

Kollektiver Freudentaumel: Bayer Leverkusen bejubelt das 4:4 durch Admir Mehmedi. imago/Baering

Das Gute damals: Nur kurz darauf folgte direkt das Rückspiel zwischen diesen beiden offensivfreudigen Mannschaften - im altehrwürdigen Stadio Olimpico am 4. November 2015. Hier legten die Hauptstädter furios vor: Mohamed Salah bereits in der 2. Spielminute und Edin Dzeko überwanden Bernd Leno zum 2:0-Pausenstand. Aus dem hochverdienten 0:2 machte die Werkself nach dem Seitenwechsel allerdings durch Treffer von Mehmedi und Chicharito ein 2:2. Das letzte Wort aber hatten die Römer, nachdem Ömer Toprak glatt Rot gesehen und einen Elfmeter durch einen Stoß gegen Salah verursacht hatte. Miralem Pjanic trat an - und wurde seinem Ruf als Standardexperte gerecht.

"Zum Verrücktwerden", titelte der Corriere dello Sport nach dieser nächsten spektakulären Partie, während die Gazzetta dello Sport einen "Thriller mit gutem Ende" sah: "Nicht zu fassen! Die Geister aus dem Hinspiel leben noch." Sie hätte auch schreiben können: Die Geister waren elf Jahre lang nicht tot.

"Große Verarschung des Schiedsrichters"

Kerem Demirbay

2023 verpasste Leverkusen noch um Kerem Demirbay das Europa-League-Finale gegen Rom - auf bittere Weise. IMAGO/Beautiful Sports

Bevor diese beiden Teams nun am Donnerstagabend (21 Uhr, LIVE! bei kicker) und eine Woche später erneut die Klingen kreuzen und dabei das Ticket fürs Europa-League-Finale ausmachen, fehlt noch der Blick ein Jahr zurück - denn auch hier standen sich Leverkusen und Rom im Semifinale der Europa League gegenüber. Mit Spektakel wie noch beim wilden 4:4 in der Königsklasse hatte das aber nichts zu tun. Gar nichts.

Denn die Italiener, trainiert von keinem Geringeren als "The Special One" José Mourinho, sollten sich im Hinspiel mit dem Tor von Eigengewächs Edoardo Bove begnügen und den Rest mit Verteidigungsarbeit und destruktivem Fußball verbringen. Und Leverkusens Offensive? Die zerschellte beim 0:1 im Hinspiel sowie beim 0:0 im Rückspiel trotz teils langer Nachspielzeit an diesem römischen Team. Wie sehr damals nur ein Team - das aus der Bundesliga - agieren wollte, verdeutlicht folgende kicker-Zeile: "Bayer schoss zwar 23-mal aufs Tor (Rom nur einmal), traf einmal die Latte - verzweifelte aber gerade in der Schlussphase trotz voller Offensive an der Spielweise der Roma."

Europa League 2022/23

Im Anschluss an das damalige Aus konnten sich einige Leverkusener vor Wut kaum beruhigen, sie erkannten im Angang der Mourinho-Römer Anti-Fußball. Worte wie "Frechheit", "Schande" und "sehr ekelhaft" flogen umher. Geschäftsführer Sport Simon Rolfes lederte am RTL-Mikrofon: "Nach jedem Torschuss von uns lag einer von denen auf dem Boden und brauchte einen Arzt, und das ist natürlich große Verarschung des Schiedsrichters." Und Kerem Demirbay, inzwischen für Galatasaray aktiv, meinte: "Dass so eine Spielweise am Ende auch belohnt wird, ist sehr, sehr bitter für den Fußball."

Nun steht die Neuauflage des Europa-League-Halbfinales unter etwas anderen Sternen an - Leverkusen tritt als weiterhin ungeschlagener Bundesliga-Meister an, die Roma schlägt ohne Mourinho und mit Daniele de Rossi als Coach auf. Gibt es dieses Mal wieder Spektakel?

Dieser Text erschien bereits in abgewandelter Form vor dem letztjährigen Europa-League-Halbfinale am 11. Mai 2023.

Michael Bächle, Markus Grillenberger

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