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Super Bowl | Oliver Bierhoff über Unterschiede zwischen Fußball und NFL

Ex-DFB-Manager über Vermarktungsunterschiede zwischen Fußball und NFL

Bierhoff im Interview: "Dem europäischen Fußball fehlt die einheitliche Gesamtstrategie"

Jetzt auch im Football aktiv: Ex-DFB-Manager Oliver Bierhoff berät die New England Patriots aus der NFL.

Jetzt auch im Football aktiv: Ex-DFB-Manager Oliver Bierhoff berät die New England Patriots aus der NFL. IMAGO/Schüler

Herr Bierhoff, als "Business Advisor" unterstützen Sie seit einigen Monaten den sechsmaligen NFL-Champion New England Patriots beim Marktausbau in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Warum jetzt Football und nicht mehr Fußball?

Zunächst vorweg: Das eine schließt das andere keineswegs aus und mein Engagement bei den Patriots ist keine Abkehr vom Fußball, sondern eine Ergänzung. Die USA und im Speziellen der US-Sportmarkt haben mich immer schon sehr gereizt. Ich habe mich in den vergangenen Jahren immer mal wieder beim Football, Basketball oder auch Baseball vor Ort umgeschaut und diverse Teams und Franchises beispielsweise im Rahmen von Urlauben besucht. Besonders beeindruckend waren drei Tage, in denen ich Coach K (Basketballtrainer Michael Krzyzewski, Anm. d. Red.) an der Duke University begleiten durfte. Robert Kraft, der Owner der Patriots, ist auch Eigentümer von New England Revolution aus der Major League Soccer sowie vom Gillette Stadium in Foxborough, in dem bei der Fußball-WM 2026 Spiele stattfinden werden. So bin ich über meine Rolle bei den Patriots auch gleichzeitig weiterhin nahe dran am Fußballbusiness.

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Welches Business-Potenzial haben die Patriots im deutschsprachigen Markt?

Das Marktpotenzial für einzelne Franchises konkret zu beziffern, ist gar nicht so leicht. Man schaut auf die Zahl der Fans, die Umsatzentwicklung gerade bei den Medienrechten und auf Menschen, die Flag Football spielen. Die Owner-Familie wie auch die gesamte NFL ist sich sehr bewusst, dass die Erschließung des deutschen Markts ein langfristiges Projekt von mindestens fünf bis zehn Jahren ist. Es geht den Patriots dabei nicht darum, hier und da punktuelle Aktivitäten zu machen und ein bis zwei Partner zu finden, um damit salopp gesagt 500.000 Dollar herauszuholen. Vielmehr wollen sie mithelfen, American Football in Europa zu positionieren. Die NFL hat das klare Ziel ausgegeben, ein globaler Sport zu werden und dabei ist die Internationalisierung die wichtigste strategische Wachstumssäule. Die nächsten 50 Millionen NFL-Fans werden nicht aus den USA kommen.

Spiele vor Ort wie zuletzt bei den NFL Frankfurt Games sind für die Markterschließung sicherlich das wirkungsvollste Instrument. Nur können die Patriots nun nicht jedes Jahr in Deutschland spielen.

Nein, leider nicht. Da die NFL zudem noch weitere internationale Märkte wie Südamerika bespielen will, gibt es innerhalb der Liga die eine oder andere Diskussion. Gerade die sportlichen Verantwortlichen sehen die langen Reisen nicht so gerne. Solche Reibungspunkte kenne ich noch gut aus meiner Zeit beim DFB, als es um Auslandsreisen mit der Fußballnationalmannschaft ging. Wohin reisen wir mit welchem Ziel? Welche Kosten entstehen? Wie hoch ist die physische Belastung für die Spieler? Alle Sportligen und -verbände, die außerhalb der eigenen Landesgrenzen relevant sein wollen, müssen sich hier die gleichen Fragen beantworten. Denn eins ist klar: Punktuelle Präsenzen reichen für einen ganzheitlichen kommerziellen Erfolg nicht aus.

Die nächsten 50 Millionen NFL-Fans werden nicht aus den USA kommen.

Oliver Bierhoff, Business Advisor, New England Patriots

Wie wollen die Patriots mehr Deutsche zu ihren Fans machen?

Im ersten Schritt geht es darum, die bereits vorhandenen Beziehungen mit deutschen Fans auszubauen und Kontakte zu neuen Anhängern zu knüpfen. Das sogenannte Patriots Haus bei den NFL Frankfurt Games war dafür eine gute Anlaufstelle, die eventuell künftig auch ganzjährig an wechselnden Standorten quer durch die Republik für Aufmerksamkeit sorgen könnte. Ein weiterer Weg, um authentisch und ehrlich in die Köpfe der Leute zu kommen, ist die Entwicklung von Flag Football in Deutschland - zum Beispiel über eine unterjährige Turnierreihe. Das würde sowohl Begeisterung bei Kindern und Jugendlichen wecken als auch das Spielverständnis im Allgemeinen verbessern, denn American Football erklärt sich dem Laien ja nicht unbedingt von selbst.

Nach dem Ende der Ära von Star-Quartback Tom Brady haben die Patriots sportlich Federn gelassen. Stattdessen sind derzeit die Kansas City Chiefs am Drücker, die am Sonntag zum zweiten Mal in Folge den Super Bowl gewinnen können und mit ihren Stars wie jüngst in Frankfurt gesehen auch in Deutschland für viel Furore sorgen.

Ganz klar haben sich die Chiefs in Deutschland bei den neuen Fans einen Vorsprung erarbeitet. Das liegt zum einen an ihrem sportlichen Erfolg, aber zum anderen auch an den von Ihnen angesprochenen Stars. Patrick Mahomes und Travis Kelce im Verbund mit Taylor Swift ragen hier in der Wahrnehmung schon deutlich heraus. Für die Aktivitäten der Chiefs in Europa und Deutschland ist das ein gewaltiger Wachstumstreiber. Denn Menschen verbinden sich in erster Linie mit den Heroes einer Sportart. Das ist im American Football genauso wie im Weltfußball und gilt für die NFL-Franchises umso mehr außerhalb ihres Heimatmarkts, wo sie noch nicht ansatzweise die Bekanntheit von angestammten Fußballklub-Marken wie AC Mailand oder Real Madrid haben.

Super Bowl LVIII

Können die Patriots diesen Rückstand überhaupt noch aufholen?

Von Rückstand würde ich nicht sprechen. Die Fangemeinschaft ist weiterhin riesig, aber die Chiefs schließen auf. Die Begeisterung rund um die Patriots war bei den Frankfurt Games ja trotzdem enorm groß, was auch ein Verdienst der beiden Ex-Patriots-Profis Markus Kuhn und Sebastian Vollmer ist. Und wie bereits gesagt denken die einzelnen Franchises ohnehin immer auch ans große Ganze und freuen sich über jede Aufmerksamkeit oder Begeisterung für den Football.

Die amerikanische Art der Inszenierung im Stadion scheint den Deutschen zu gefallen. Wie haben Sie die Frankfurt Games erlebt, bei denen 50.000 Zuschauer zu Schunkel-Hits wie "Sweet Caroline" und "Country Roads" angestimmt haben?

Das war schon eine besondere Stimmung, auch für die amerikanischen Spieler selbst, die eine andere Atmosphäre aus den USA kennen. Football wird in Deutschland von vielen Menschen als Entertainment-Produkt gesehen. Es werden dadurch fast alle Dinge akzeptiert, die in einer deutschen Ur-Sportart wie Fußball verpönt wären. Das ist schon paradox: Deutsche Sportfans kritisieren Helene Fischer als Halbzeit-Act beim DFB-Pokalfinale und bejubeln ein paar Monate später die spektakuläre Show beim Super Bowl.

Auf einer Skala von Eins bis Zehn: Wieviel Marktpotenzial hat die NFL in Deutschland schon ausgeschöpft?

Rein in der Monetarisierung ist noch nicht so viel passiert. Aber bei der allgemeinen Marktpräsenz würde ich so eine Sechs bis Sieben vergeben - vor allem gemessen daran, wo die NFL herkommt. Dazu braucht man nur die Einschaltquoten von 1,6 Millionen im TV betrachten. Und für die Zeit, in der die Franchises hier vor Ort waren, sehe ich schon eine Neun bis Zehn auf der Potenzialskala. Was da in einem Zeitraum von zwei Wochen in der Stadt abgefackelt wurde, war schon unglaublich. Zum Teil der Wahrheit gehört aber eben auch, dass der Hype danach deutlich abgeflacht ist und es sehr herausfordernd ist, die Aufmerksamkeit dauerhaft aufrechtzuerhalten. Es gibt viele Sportfans in Deutschland, die sich zwar grundsätzlich für die NFL und punktuell den Super Bowl interessieren, aber die noch nicht unbedingt jedes Spiel live verfolgen.

Hat American Football dennoch das Potenzial, dem Fußball in Deutschland ernsthaft Marktanteile streitig zu machen?

Nein, Fußball ist und bleibt mit weitem Abstand die Nummer eins. Er sollte sich natürlich nicht unnötig ausruhen, aber die breite Basis und die Verankerung in der deutschen Gesellschaft wird immer größer sein, als die von American Football. Für andere deutsche Teamsportarten wie Basketball und Handball ist die NFL dagegen gemessen an den Einschaltquoten mittlerweile ein ernstzunehmender Challenger.

Was unterscheidet die NFL in der Vermarktung vom europäischen Fußball?

Die NFL und ihre Franchises sind geleitet von unternehmerischen Zielen. Das hört sich zunächst banal an, ist aber eine komplett andere Denkweise, die die meisten Fußballklubs und -ligen in Europa so niemals für sich formulieren würden. Die NFL will Umsätze generieren und dafür muss der Fan, ihr Kunde und Konsument, zufrieden sein. Das ist ein absolut spitzer Fokus, der die Basis für alle kommerziellen Aktivitäten ist. Und hier konkurrieren die Teams nicht untereinander, sondern gehen die Themen gemeinsam an. Was die Amerikaner natürlich generell gut können, ist, ein Thema medial aufzupumpen und interessant zu machen. Jede Franchise hat ja in der Regular Season der NFL nur 17 Spiele und dennoch schaffen sie es, quasi 24/7 "talk of the town" zu sein.

An welchem Beispiel machen Sie den speziellen Fan-Fokus der NFL fest?

Nehmen wir die Stadien: Die NFL investiert sehr gezielt in das Fan-Erlebnis vor Ort und setzt hier modernste Technologie ein, während wir uns noch fragen, ob wir wirklich bessere Internetverbindungen haben wollen, damit Fans Wiederholungen direkt auf dem Smartphone sehen können. Oder ob wir lieber weiterhin 20 Minuten an einer Stadionbude warten, um dann eine kalte Bratwurst zu bekommen. Wer das unter Fußballromantik verbucht, okay. Aber fanfreundlich ist das objektiv betrachtet eher nicht.

In Deutschland hätte es da höchstwahrscheinlich bei einigen Vereinen einen gewaltigen Fan-Aufstand gegen die DFL gegeben.

Oliver Bierhoff

Welche Vermarktungsunterschiede zwischen NFL und europäischem Fußball gibt es noch?

Die NFL-Franchises stehen für eine sehr zentralistische, abgestimmte und mutige Vermarktung. Bestes Beispiel dafür war erst im Januar die exklusive Vergabe eines einzelnen Spiels (Kansas City Chiefs vs. Miami Dolphins, Anm. d. Red.) an den kostenpflichtigen Streaming-Dienst NBC Peacock - für rund 110 Millionen US-Dollar! In Deutschland hätte es da höchstwahrscheinlich bei einigen Vereinen einen gewaltigen Fan-Aufstand gegen die DFL gegeben. Gleichzeitig geht die NFL bei der Geldverteilung sehr sozialistisch vor und schüttet dafür den Großteil der Einnahmen zusammen. Man müsste sich das mal für die Bundesliga vorstellen, dass alle 18 Klubs vom 1. FC Heidenheim bis Borussia Dortmund zum Beispiel ihre Zuschauereinnahmen in einen großen Topf schmeißen, um das Geld danach gleich zu verteilen. Die größte Stärke der NFL ist aus meiner Sicht aber noch eine ganz andere.

Nämlich?

Dass die Franchises bei aller sportlichen Rivalität eine gemeinsame Strategie verfolgen und auf dieser Grundlage ein großes Miteinander herrscht. Diese Geschlossenheit, die natürlich auch durch das Franchise-System begünstigt wird, hilft der NFL ungemein, ihr Wachstum voranzutreiben und zugleich sportlichen Wettbewerb zu schüren. Zwei einfache Beispiele: Jedes Team in der NFL startet mit dem gleichen Gehaltsgefüge in eine Saison. Und bei NFL-Rookies dürfen in den ersten drei Jahren die Verträge nicht nachverhandelt werden. Im Fußball macht ein junger Spieler - etwas übertrieben formuliert - drei gute Spiele und will dann mehr Geld, sonst droht er mit einem Wechsel.

So gut wie alles in der NFL passiert dabei zugunsten der Owner, die im Prinzip ein Kartell haben ...

… aber die Eigentümer legen sich dabei auch ein sehr striktes Regel-Set im Umgang mit Spielern und Agenten auf, damit erstens das sportliche Produkt und zweitens auch die Kommerzialisierung funktioniert. Es klingt auf den ersten Blick zwar widersprüchlich, aber zusammengefasst muss man sagen: Obwohl die Amerikaner so gewinnorientiert denken und wir ihnen zu viel Showbusiness vorwerfen, sind ausgerechnet sie es, die mit ihrem System am Ende einen im Vergleich zum europäischen Fußball deutlich faireren und ausgeglicheneren Wettbewerb haben.

Was raten Sie dem europäischen Fußball?

Dem europäischen Fußball fehlt die einheitliche Gesamtstrategie. Die Strategie kann auf Dauer nicht lauten: "Wir machen Wettbewerbe, die für einige Klubs gut funktionieren." Die UEFA Champions League ist schon längst mehr oder weniger ein "closed circle". Auch in den nationalen Ligen geht die Schere zwischen armen und reichen Klubs aufgrund von ungleichen Verteilungen immer weiter auf. Und die einzelnen Vereine sind im Konkurrenzkampf oft so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie es erst gar nicht auf die Meta-Ebene schaffen, um das große Bild zu sehen. Im Sinne eines ausgeglicheneren Wettbewerbs wäre es definitiv hilfreicher, sich an einen Tisch zu setzen, als dass jeder nur sein eigenes Süppchen kocht.

Können Sie sich auf Klubebene ein grenzenloses Europa, in dem sogar verschiedene Ligen miteinander verschmelzen und eine gemeinsame Plattform entsteht?

Das ist ein sehr radikaler Gedanke, dafür ist es ganz sicher noch zu früh. Aber ich frage mich manchmal schon, wie der Fan wohl in 15 bis 20 Jahren konsumieren wird, wenn in einer immer globaler werdenden Welt womöglich hier und da noch mehr die regionale Bindung verloren geht. Dann sind natürlich Entwicklungen möglich, die heute noch nicht vorstellbar sind. Das aktuelle Fußballsystem hat ja auch irgendwann mal irgendjemand aufgesetzt, weil er gedacht hat, das ist die beste Art. Aber das aktuelle Fußballsystem ist nicht von Gott gegeben. Und ich finde es legitim, das auch zu hinterfragen, sofern im Mittelpunkt die Frage steht, wie sich die Begeisterung für den Fußball hochhalten lässt.

Interview: Henning Eberhardt

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