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Fünfmal Weltklasse: kicker-Rangliste des deutschen Fußballs

Leistungs-Flaute in der Bundesliga scheint beendet

Fünfmal Weltklasse - und etwas Skepsis: Die Rangliste des deutschen Fußballs

Protagonisten der Bundesliga: Jeremie Frimpong, Serhou Guirassy und Harry Kane (v. li.).

Protagonisten der Bundesliga: Jeremie Frimpong, Serhou Guirassy und Harry Kane (v. li.). Picture Alliance

Die Bundesliga boomt. Das Titelrennen ist so mitreißend wie selten in den vergangenen Jahren. Mit Bayer 04 Leverkusen begegnet ein Klub seit dem 1. Spieltag dem Rekordmeister Bayern München auf Augenhöhe. In der Liga ist eine Torflut von 3,36 Treffern pro Partie zu bestaunen. Das ist der höchste Wert seit der Saison 1984/85, damals waren es 3,51. Große Spannung, spektakuläre Spiele. Prima!

Um die Attraktivität der höchsten deutschen Spielklasse muss sich die DFL also keine Sorgen machen, was den Unterhaltungswert betrifft. Volle Stadien. In den meisten im Vergleich zu den anderen Top-5-Ligen auch mit einer gigantischen Atmosphäre. Spiele oft mit offenem Visier geführt und dem Resultat, dass es Tore en masse zu bejubeln gibt. Erzielt von den Helden des Fußballs, den echten Torjägern. Nicht nur Bayern Münchens Investitionsbereitschaft in den 100-Millionen-Stürmer Harry Kane sei Dank. An Langeweile laboriert das Premium-Produkt des deutschen Fußballs nun wahrlich nicht.

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Alles im Lot also in der Fußball-Republik Deutschland? Natürlich nicht. Das ist nicht erst seit den beiden ernüchternden Auftritten der DFB-Elf im November gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) klar, in denen die eklatanten Defensivschwächen der Mannschaft aus dem Land der Vorstopper noch mal gnadenlos aufgezeigt wurden. Wobei vermerkt sei, dass dies kein alleiniges Problem der Qualität der Abwehrspieler darstellt.

Unstrittig ist jedoch, dass dem DFB-Team auf den meisten Defensivpositionen die Akteure auf höchstem Niveau fehlen. Dies zeigt sich auch in der Kategorie Weltklasse, in der die Bundesliga nach drei Halbjahren der Dürre wieder etwas zu bieten hat - und zwar gleich fünf Akteure, denen die kicker-Redakteure dieses Prädikat in ihrer Konferenz im Dezember zugestanden haben.

Kossounou ist der Schritt nach oben zuzutrauen

Mit einem Mittelstürmer (Kane), einem Außen (Leroy Sané) und einem Zehner (Florian Wirtz) tauchen dort aber mehrheitlich Offensivspieler auf. Und auch die beiden "Abwehrspieler", die der kicker in der Weltklasse einordnete, erspielten sich diesen Status durch ihre offensiven Fähigkeiten: Die Leverkusener Schienenspieler Alejandro Grimaldo und Jeremie Frimpong begeisterten in erster Linie entweder durch Schusskünste, verkappte Spielmacher-Qualitäten und Spielintelligenz wie Grimaldo oder durch absoluten Highspeed, explosive Antritte, unwiderstehliche Dribblings und Flügelläufe wie Frimpong. In anderen Klubs würde der Spanier Grimaldo wohl im zentralen Mittelfeld Regie führen und der Niederländer Frimpong als echter Außenstürmer agieren.

Den absoluten Topspieler auf höchstem Niveau, der seine Kernkompetenz im Verteidigen besitzt, findet man aber nicht in der Bundesliga. Leverkusens Aufsteiger, dem Ivorer Odilon Kossounou, ist dieser Schritt wohl am ehesten zuzutrauen, wenn er das Niveau der ersten Saisonhälfte dauerhaft beweist.

Und so gibt es in der Liga eine Zweiklassengesellschaft, was Offensive und Defensive betrifft. Genauso wie die 18 Topklubs der Republik in ihrer Leistungsfähigkeit immer weiter auseinanderdriften. Dass der Tabellen-16. nach 16 Spieltagen erst zehn Punkte aufweist, gab es noch nie seit Einführung der Drei-Punkte-Wertung. Es besteht also ein immer größeres Leistungsgefälle, was definitiv kein Merkmal einer absoluten Top-Liga darstellt.

Diese Diskrepanz spiegelt sich auch in der Rangliste wider. Während die Gesamtzahl der Profis in dieser mit 86 gegenüber 78 im Sommer sogar leicht gestiegen ist, ist die Anzahl der Klubs, die nicht oder mit nur einem Akteur im Ranking vertreten sind, mit sechs Vereinen bedenklich hoch. Damit wird das Ergebnis aus dem Winter 2021/22 erreicht. So wenige Klubs mit mindestens zwei Ranglisten-Spielern gab es seit der Streichung der vierten Kategorie Im Blickfeld ab der Saison 2020/21 sonst noch nie.

Besteht Hoffnung auf eine Kehrtwende im deutschen Fußball?

Doch aktuell fünf Weltklasse-Akteure darf die Bundesliga für sich natürlich erst einmal als eine Auszeichnung verstehen. Aber stellt die Handvoll Hoffnung auch schon eine sicheren Indikator für die Kehrtwende im deutschen Fußball dar? Zumindest eine gesunde Skepsis scheint angebracht.

Zum einen, weil der Zuwachs nur bedingt auf die Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball zurückgeführt werden kann. Drei aus dem Weltklasse-Quintett haben ihre Ausbildung im Ausland genossen. Mit Wirtz (20) und Sané (27) erreichten zwar immerhin zwei deutsche Profis die höchste Kategorie. Wobei gerade aufgrund ihrer individuellen Stärken im Eins-gegen-eins und ihres Instinkts, ihrer Qualitäten als Straßenfußballer also, es zu hinterfragen ist, ob die deutschen Nachwuchsleistungszentren zu der Entwicklung des Duos zu Weltklasse-Fußballern wirklich einen entscheidenden Anteil beigetragen haben.

Union Gruppenvierter in der CL? Nicht besorgniserregend

Auch das Abschneiden der Bundesliga in den drei Europapokal-Wettbewerben taugt nicht als sicheres Indiz für einen Aufschwung. Auch wenn sich die Bayern wie immer souverän durch die Gruppenphase siegten. Auch wenn sich Leipzig locker gegen relativ leichte Kontrahenten durchsetzte. Auch wenn der BVB, dem viele Experten in der Gruppe mit PSG, Newcastle und Milan das frühe Aus prognostiziert hatten, sogar als Tabellenerster ins Achtelfinale einzog.

Dass sich das in der Liga schwer kriselnde Union Berlin als Neuling in der Königsklasse als Gruppenvierter verabschiedete, stellt dabei eher keinen besorgniserregenden Faktor dar. Doch der Wert dieses insgesamt guten Abschneidens wird sich erst in der K.-o.-Phase erweisen. Das gilt genauso für den SC Freiburg und Eintracht Frankfurt, die beide den Umweg über die K.-o.- Runden-Play-offs in der Europa bzw. der Conference League nehmen müssen. Die wahren Bewährungsproben warten erst dann auf das Duo.

Bayer-Ensemble im falschen Wettbewerb

Der Stellenwert der Gruppenphase, gerade in den beiden kleinen Europapokalen, drückte sich am besten im Leverkusener Spaziergang durch die Gruppe H der Europa League aus. So demonstrierte das Team von Xabi Alonso eindrucksvoll, dass es als ein Ensemble mit Königsklassen-Reife im falschen Wettbewerb spielt. Reichte es den Leverkusenern doch, meist mit einer besseren B-Elf anzutreten und trotzdem sechs Siege einzufahren in der No-Name-Gruppe mit BK Häcken, Molde FK und Qarabag Agdam. Wer kein Nerd oder Bayer-Fan ist und alle drei Klubs ohne nachzudenken direkt dem richtigen Land zuordnen kann, darf sich für die Millionen-Frage bei Günter Jauchs "Wer wird Millionär?" gewappnet fühlen ...

Aber gilt dies im übertragenen Sinne auch für den deutschen Fußballs ein halbes Jahr vor der EURO im eigenen Land? Keine Frage, die internationale Bilanz der Bundesliga ist eine positive. Aber das war sie im Winter schon oft in den vergangenen Jahren, in denen dann für viele Klubs in der K.-o.-Phase die Ernüchterung viel früher als erwartet erfolgte.

Starkes erstes Halbjahr in der Bundesliga: Lois Openda.

Starkes erstes Halbjahr in der Bundesliga: Lois Openda. IMAGO/Nordphoto

Boniface und Openda sind große Versprechen für die Zukunft

Doch erst mal noch ein Blick auf die Mittelstürmerposition, auf der die Wechsel von Erling Haaland (zu ManCity) und Robert Lewandowski (Barca) im Sommer 2022 eine gewaltiges Loch rissen und die Liga zweier Weltklasse-Kandidaten beraubten. Nach einem Übergangsjahr ist die Lücke geschlossen.

Nein, nicht durch Niclas Füllkrug, der sich in Dortmund weit von der Weltklasse entfernt bewegt, sondern durch Torjäger auf Topniveau. Diese besitzt die Liga in dieser Saison wieder, und zwar nicht zu knapp. Neben Kane (30) auch noch mit Serhou Guirassy (27), einem gereiften Knipser, auch wenn der Stuttgarter ein Spätentwickler in seiner Funktion als Vollstrecker ist.

Zudem stellen Leverkusens Victor Boniface (23) und Leipzigs Lois Openda (23) zwei große Versprechen für die Zukunft dar, die allerdings beide wie auch Guirassy schneller als gewünscht den umgekehrten Weg nehmen könnten, den Kane mit seinem Wechsel von Tottenham Hotspur aus der Premier League in die Bundesliga wählte.

Rangliste spiegelt Probleme der Nationalelf wider

Dass sie alle für ein allwöchentliches Feuerwerk in den Strafräumen der Bundesliga sorgen, wirft aber auch einen Schatten auf die Qualität der Liga bezüglich ihrer Defensivstärke. Ex-Teamchef Jürgen Klinsmann mag sicher nicht mit all seinen Einschätzungen richtiggelegen haben, aber seine Feststellung trifft zu, dass es in der Bundesliga und auch in England deutlich einfacher ist, so viele Tore wie Kane und Guirassy zu erzielen, als in Italien, dem Land des defensiv-taktisch wohl hochwertigsten Fußballs.

Und nicht umsonst monierte Bundesliga-Urgestein Friedhelm Funkel zuletzt, dass auf das Defensivverhalten in Deutschland generell viel zu wenig Wert gelegt werde. Und sprach dabei auch explizit die Nationalmannschaft an.

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  • In der Print-Ausgabe am Donnerstag, 4. Januar 2024, oder im eMagazine finden Sie alle Positionen der Rangliste des deutschen Fußballs für den Winter 2023/24.

So spiegelt die Rangliste auch genau die Probleme wider, mit denen die deutsche Auswahl nicht nur in diesem Halbjahr zu kämpfen hat. Auf den Schlüsselpositionen fehlen Bundestrainer Julian Nagelsmann die Kandidaten, die das absolute Top-Niveau verkörpern. Entweder weil es ihnen grundsätzlich an Klasse mangelt. Oder weil sie seit geraumer Zeit ihre Bestform suchen. Oder weil sie vielleicht gar nicht auf der Position eingesetzt werden, auf der sie für die DFB-Elf am wichtigsten wären.

So herrscht bei den Innen- und Außenverteidigern in der Bundesliga eine Dürre, was DFB-Aspiranten betrifft. Einzig Leverkusens Jonathan Tah, für dessen Nicht-Berücksichtigung der kicker bereits vor einem halben Jahr den damaligen Bundestrainer Hansi Flick mit Hinweis auf das außer Kraft gesetzte Leistungsprinzip kritisiert hatte, bewegt sich derzeit zentral auf internationalem Niveau wie Leipzigs Benjamin Henrichs bei den Außenverteidigern - der übrigens auch als gelernter Offensivakteur durch seine spielerischen Fähigkeiten glänzt.

Kimmichs Positionswechsel legt ein Thema zu den Akten

Zusammen mit Real Madrids Innenverteidiger Antonio Rüdiger kein allzu üppiges Angebot also bei Nagelsmanns Suche nach "Verteidigungsmonstern". Der Bundestrainer wird seine Probleme in diesem Bereich auch durch eine bessere Balance und eine verantwortungsbewusstere Formation lösen müssen - und mit Spezialisten auf den Problempositionen.

Während Flick auch in seinem letzten Kalenderjahr als Bundestrainer der Versuchung unterlag, die besten Fußballer zu nominieren, aber gleichzeitig die für jedes Team erforderlichen Arbeiter nicht zur Genüge zu berücksichtigen, hat Nagelsmann seinen ähnlichen Ansatz unlängst für beendet erklärt.

Jetzt soll Kimmich, als Sechser im vergangenen Halbjahr nur Nationale Klasse, endlich als Rechtsverteidiger diese Schwachstelle beheben, wozu der Münchner aufgrund seiner Fähigkeiten in der Lage ist. Verschreibt er sich dieser Aufgabe komplett - und angesichts Nagelsmanns öffentlicher Ankündigung ist davon auszugehen, dass Kimmich dies bereits getan hat - wäre eine Problemzone endlich bearbeitet, die schon längst hätte ad acta gelegt werden können.

Warum Xhaka und Palacios das Bayern-Mittelfeld übertrumpfen

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Auch dass Nagelsmann Barcelonas Feingeist Ilkay Gündogan künftig nicht als Sechser, sondern offensiver einzusetzen gedenkt, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch anders als rechts hinten stellt sich die Frage, welcher DFB-Kandidat für die "Holding Six" taugt. Und wer überhaupt ein solcher ist.

Leon Goretzka taucht in der Bundesliga-Rangliste als einziger Akteur im der Nationalen Klasse auf, der als deutscher EM-Fahrer zu erwarten ist. Und auch wenn der Münchner in der zweiten Saisonhälfte auch wieder auf ein höheres Niveau klettern sollte, stellt er doch den Typ Box-to-BoxSpieler dar, er durch seine Vorstöße und seinen Zug zum Tor punktet.

Die deutschen Sechser müssen sich hinten anstellen

Außer dem spät berufenen Pascal Groß (32, Brighton & Hove) präsentierte sich zuletzt kein echter Sechser auf internationalem Niveau. Es hat also gute Gründe, warum Nagelsmann - anders als sein Vorgänger Flick - Leverkusens Robert Andrich im Herbst in die Nationalmannschaft berief und dort auch debütieren ließ, obwohl der 29-Jährige beim Tabellenführer Bayer 04 nur als Sechser Nummer drei firmiert hinter dem in der Liga herausragenden Duo Granit Xhaka und Exequiel Palacios.

Dass der eine ein Schweizer und der andere ein argentinischer Nationalspieler ist, passt ins Bild: Die deutschen Sechser müssen sich derzeit im internationalen Vergleich hinten anstellen. Dennoch wird es für Nagelsmann schwierig sein, auf die Schnelle eine bessere Alternative als Andrich zu finden.

Sollte sich dieser in der Rückrunde erst aufgrund des Afrika-Cups und dann aufgrund der sich in den Pokalwettbewerben sicher veränderten Rotationsmuster von Xabi Alonso öfter in aussagekräftigen Partien präsentieren können, besteht zumindest die Chance, dass er nach dem Rückschlag durch einen Mittelfußbruch im Mai dann wieder Top-Form der Vorsaison erreichen kann. In dieser wäre Andrich sogar ein Anwärter auf einen Stammplatz in Nagelsmanns Elf.

Das gilt auch, wenn der Bundestrainer Real Madrids Toni Kroos vom DFB-Comeback überzeugen könnte. Dass der inzwischen 34-jährige Weltmeister als Taktgeber aus sehr tiefer Mittelfeldposition das deutsche Spiel ordnen könnte, ist dabei genauso klar wie der Fakt, dass Kroos seine Internationale Klasse am besten zur Geltung bringt, wenn er einen Bodyguard neben sich in der Doppelsechs weiß.

Im Sturmzentrum fehlt der Problemlöser

Im Sturmzentrum hingegen fehlt ein Kandidat, der als Problemlöser fungieren könnte - trotz der Renaissance der Torjäger in der Bundesliga. Dass Nagelsmann während der USA-Reise den 32-jährigen Kevin Behrens testete (und spielerisch für zu leicht befand), der beim in Abstiegsgefahr schwebenden Union Berlin allein aus Leistungsgründen seinen Stammplatz verloren hat, steht exemplarisch für die Defizite auf dieser Position. Dass Bremens Marvin Ducksch (29) oder der nächste Test-Kandidat Stuttgarts Deniz Undav (27), beide keine Talente mehr, noch den Sprung aus der Nationalen Klasse zu einem internationalen Top-Stürmer packen, ist mindestens unwahrscheinlich.

Die Aufgabe, einen hochkarätigen Spezialisten auf der Neun zu finden, erscheint jedenfalls bis zur EM 2024 unlösbar. Daran kann selbst eine boomende Bundesliga mit all ihren unterhaltsamen, weil offensiv geführten Partien und mit all ihren begeisternden Torjägern nichts ändern.

Fußball-Deutschland wird also auf Nagelsmanns Geschick hoffen müssen, eine so spielstarke, aber auch gleichzeitig defensiv homogene Einheit zu formen, in der ein Mittelstürmer der Kategorie Füllkrug seine Schwächen möglichst verbergen, aber seine Stärken gewinnbringend ausspielen kann. Der Weg zurück zur Weltspitze ist ohne eine solche für Deutschland ein weiter. Ihn innerhalb von sechs Monaten zurückzulegen, käme einem Husarenritt gleich.

Stephan von Nocks

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